31.03.2014
Abbruch der Maßregel vor Antritt
ThürOLG, Beschluss vom 05.03.2007 – 1 Ws 75/07
§§ 64, 67 d Abs. 5 StGB.
nbsp
Leitsatz:
Zu den Voraussetzungen des »Abbruchs« der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vor dem Beginn des Vollzugs der Maßregel wegen Therapieunwilligkeit.
Eine Erledigung der (rechtskräftig angeordneten) Unterbringung in der Entziehungsanstalt mangels hinreichender Therapieerfolgsaussichten kommt auch vor Beginn des Vollzuges in Betracht; an die Entscheidung sind aber dieselben Anforderungen zu stellen, wie an die Unterbringungsentscheidung gemäß § 64 StGB.
nbsp
Aus den Gründen:
Durch Urteil des LG Gera vom 14.11.2005, rechtskräftig seit 22.11.2005, wurde gegen den Verurteilten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Betruges eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt. Darüber hinaus wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet.
In der Zeit vom 04.11.2005 bis 13.01.2006 durchlief der Verurteilten eine Nachsorgetherapie in der Klosterwaldklinik in B.
Seit dem 20.01.2006 befindet er sich in Haft, zunächst zur Verbüßung mehrerer Restfreiheitsstrafen und einer Ersatzfreiheitsstrafe, seit 13.02.2007 in vorliegender Sache.
Mit Schreiben vom 06.06.2006, 18.06.2006 und 10.07.2006 beantragte der Verurteilten jeweils die Umwandlung des verhängten Maßregelvollzugs in eine »reguläre Strafe.
Mit Verfügung vom 27.11.2006 nahm die StA Gera zum Antrag des Verurteilten Stellung und übersandte die Akten an das LG Meiningen.
Nach mündlicher Anhörung des Verurteilten durch die StVK des LG Meiningen am 17.01.2007 erging die angegriffene Entscheidung, mit der angeordnet wurde, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht zu vollziehen und die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des LG Gera vom 14.11.2005 (...) zu vollstrecken.
Zur Begründung der Entscheidung wird ausgeführt, dass aufgrund der fehlenden Motivation des Verurteilten ein Behandlungserfolg nicht zu erwarten und daher von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 67 d Abs. 5 StGB vorliegend abzusehen sei.
Gegen diesen ihr am 01.02.2007 zugestellten Beschluss legte die StA Gera am 02.02.2007 sofortige Beschwerde ein.
Die Thüringer GenStA ist in ihrer Stellungnahme vom 19.02.2007 der sofortigen Beschwerde beigetreten und beantragt, den Beschluss des LG Meiningen vom 17.01.2007 aufzuheben. Der Verfahrensbevollmächtigte des Verurteilten hat mit Schriftsatz vom 02.03.2007 zu der sofortigen Beschwerde der StA Gera und den Ausführungen der Thüringer GenStA Stellung genommen und beantragt, die sofortige Beschwerde kostenpflichtig zu verwerfen.
nbsp
Die gemäß §§ 463 Abs. 5, 462 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte sowie form- und fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde ist begründet.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Abbruch der Vollziehung – bzw. für einen Wegfall – der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 67 d Abs. 5 StGB sind gegenwärtig nicht erfüllt.
Gemäß § 67 d Abs. 5 StGB in der verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 91, 1 ff.) hat das Gericht nachträglich zu bestimmen, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht (weiter) zu vollziehen ist, wenn ihr Zweck aus Gründen, die in der Person des Untergebrachten liegen, nicht erreicht werden kann. Die Unterbringung darf nicht weiter vollzogen werden, wenn entgegen einer anfänglichen positiven Prognose keine hinreichende konkrete Aussicht mehr auf einen Behandlungserfolg besteht (BVerfGE a. a. O., 30 f, 34).
Die entsprechende Anordnung kann – etwa aufgrund der Erfahrungen im vorangegangenen Strafvollzug – auch schon vor Vollzugsbeginn getroffen werden (MüKo-StGB/Veh, § 67 d Rn. 39).
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bezweckt nach der Konzeption des Gesetzgebers den Schutz der Allgemeinheit durch eine Behandlung des Untergebrachten, die darauf abzielt, ihn von seinem Hang zu heilen (oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren) und die zugrunde liegende Fehlhaltung zu beheben (BVerfGE a. a. O. 27 f, 30). Die Unerreichbarkeit des Zwecks der Maßregel ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen. Auf Wünsche des Verurteilten kommt es insoweit nicht an (Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., § 67 d Rn. 7 a). Vorliegend lässt der angefochtene Beschluss des LG Meiningen nicht erkennen, dass der Zweck der Unterbringung des Verurteilten in der Erziehungsanstalt nicht erreicht werden kann.
Der Umstand, dass ein Ang. die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ablehnt, steht deren Anordnung grundsätzlich nicht entgegen (BGH NStZ-RR 2004, 263). Ob der Schluss vom Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich nur aufgrund einer Gesamtwürdigung aller insoweit erheblichen Umstände, namentlich der Gründe und Wurzeln des in Rede stehenden Motivationsmangels beurteilen.
Die Unterbringung soll gegebenenfalls dazu dienen, zunächst die Ursachen eines solchen Mangels zu beheben, bei dem Untergebrachten also die Therapiebereitschaft überhaupt erst zu wecken, um so die Voraussetzungen einer Erfolg versprechenden Weiterbehandlung zu schaffen (BGH NStZ-RR 1998, 70 f).
Dieser Beurteilungsmaßstab ist, da der Verurteilten die Maßregel bislang noch nicht angetreten hat, auch im vorliegenden Fall zugrunde zu legen. Eine eindeutige und dauerhafte Therapieunwilligkeit des Verurteilten kann weder den Ausführungen in seinen Schreiben und im Anhörungstermin noch denen im Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 02.03.2007 entnommen werden.
Als Gründe für seine Anträge auf Umwandlung der Maßregel führt der Verurteilten seine Befürchtung um die Nichtgewährung von Vollzugslockerungen, wie Besuchsausgang oder eine Verlegung in den offenen Vollzug bzw. die Beendigung der Umschulungsmaßnahme, zum Tischler an. Ausweislich der Stellungnahme seines Verfahrensbevollmächtigen resultiert die nunmehrige Therapieunwilligkeit des Verurteilten auf der Handhabung der bisherigen Vollstreckung durch die StA Gera, die als unangemessen empfunden werde. So sei der dem Verurteilten in Aussicht gestellte zeitnahe Beginn der Vollstreckung der Maßregel, insbesondere aufgrund der zunächst noch erfolgten Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten und einer Ersatzfreiheitsstrafe, nicht erfolgt. Darüber hinaus seien dem Verurteilten aufgrund der anstehenden Maßregel – trotz guter Führung – jegliche Vergünstigungen versagt geblieben. Auch werde derzeit Organisationshaft vollstreckt, obwohl sich der Verurteilten nunmehr über dreizehn Monate in Haft befinde und damit ausreichend Zeit zur Beschaffung eines Therapieplatzes gewesen sei.
Die allein durch den bisherigen Vollzugsverlauf begründete nunmehr bestehende Therapieunwilligkeit des Verurteilten ist nicht geeignet, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht zu vollziehen. Das LG Gera hat durch Urteil vom 14.11.2005 unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. A. und in Kenntnis der seinerzeit begonnenen Behandlung des Verurteilten in der Klosterwaldklinik in B. die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Auch wenn – wie der Verfahrensbevollmächtigte vorträgt – die damals erteilte Einwilligung des Verurteilten in die Maßregel bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht durch den Sachverständigen eine erhebliche Rolle gespielt hat, zwingt die nunmehr bekundete Therapieunwilligkeit nicht zur Aufhebung der Anordnung der Unterbringung. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Verurteilten bislang sich noch nicht im Maßregelvollzug befunden und auch nicht jegliche Mitarbeit bei einer Behandlung abgelehnt hat. Es kann erwartet werden, dass sich bei dem Verurteilten – mit einem gewissen zeitlichen Abstand und der Mithilfe der Therapeuten in dem Maßregelvollzug – Verständnis für den bisherigen Ablauf des Vollzugsverfahrens sowie die darin getroffenen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft einstellen und damit seine Therapiemotivation erneut geweckt werden wird.
So ist es primär Angelegenheit des Verurteilten – und nicht des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft – Kenntnis vom bereits erfolgten Widerruf seiner Strafaussetzung zur Bewährung zu haben, sodass ihn der Vorwegvollzug der siebenmonatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des AG Altenburg vom 25.04.2001 nicht hätte überraschen dürfen. Auch ist nachvollziehbar, dass vor Beschaffung eines entsprechenden Therapieplatzes zunächst der rechtskräftige Abschluss des vorliegenden Beschwerdeverfahrens abgewartet werden muss.
Der Beschluss der StVK war daher aufzuheben und der Antrag des Verurteilten auf Wegfall der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zurückzuweisen.